Geld…du hast so viel, dass es Menschen wie Glühwürmchen anzieht, die dich umschwirren, verführen, dir schöne Worte in die Ohren flüstern, bis du ihre Lügen glaubst. Und dafür hast du uns damals hintergangen? Mein alter Freund, was bleibt dir nun? Wir alle sind grau und mürbe geworden, haben Menschen um uns verloren, weil die Zeit nicht rasten will, auch du, trotz des Geldes. „Schlechte Menschen sterben allein“, hat meine Großmutter einst zu mir gesagt, aber ich habe den Spruch damals nicht verstanden. Heute tue ich es. Du wirst alleine sterben, denn keiner von uns wird an deinem Grab stehen. Wir, die dich warm empfangen und geschliffen haben, dir die Welt eröffneten, denen du den Dolch in den Rücken rammtest, als du die Möglichkeit dazu bekamst, meintest dadurch einen weiteren Sprung auf der Leiter des Lebens machen zu können. In Wahrheit ist die Stufe unter deinem Fuß zerbrochen und du bist abgestürzt.
Es ist lange, lange her und unsere Körper sind zwar gerostet, unsere Erinnerungen jedoch nicht. Paul ist gestorben, hast du das überhaupt mitbekommen? Wir anderen, wir Übriggebliebenen, sitzen immer noch jeden Donnerstagabend zusammen, spielen Karten und trinken bis uns der Schädel brummt. Mittlerweile nicht mehr im Geigenkasten, der musste schließen, sondern im Joker. Das Bier ist etwas teurer, dafür ist dort das Essen besser und die Teller sind einigermaßen sauber. Ich hörte, dass du dir erst letzte Woche irgendein großes, verdammt teures Anwesen in Südfrankreich gekauft hast. Fliehst du immer noch vor uns, vor deiner Vergangenheit? Ich weiß nicht, ob ich diesen Brief absenden werde, da ich mir nicht sicher bin, ob es überhaupt einen Sinn ergibt. Im Grunde kennst du bereits diese Worte, diese Gedanken, aber ich alter Sack verspüre eine gewisse Erleichterung, während ich sie niederschreibe.
Kannst du dich noch an Meike erinnern, die ehemalige Bedienung vom Geigenkasten? Sie war damals ein echtes Geschoss, jetzt ähnelt sie einer Krähe. Einer frohen Krähe. Sie hört fast nichts mehr und trägt, obwohl sie fast blind ist, eine Sonnenbrille.Immer noch geht sie jeden Tag ihre Runde, jedoch braucht sie dazu mittlerweile zwei Stunden, da ihre Beine nicht mehr so recht wollen und sie daher auf einen Rollator angewiesen ist. Mit Strohhut, Strickpullovern selbst im Sommer, einer ausgewaschenen Jeans und zwei übriggebliebenen Eckzähnen, wackelt sie durch das Viertel, wobei sie jeden, selbst die Bettler, höflich grüßt. Vor ein paar Monaten hatte sie einen Oberschenkelhalsbruch und wir alle dachten schon, dass es jetzt mit ihr zu Ende geht. Aber nein, die Sture hat sich wieder aufgerappelt, hat das Übel abgeschüttelt und kümmert sich jetzt wieder um die zwei Katzen ihres Sohnes, während dieser unterwegs ist. Ach, wie wir jungen Spritzer sie anhimmelten, auch du. Wie oft wir hofften, dass sie plötzlich zu uns an den Tisch kommen und einen von uns bitten würde, mit ihr nach unten in den Keller zu gehen, um von dort ein Fass Bier hochzuholen, weil sie an dem Tag „Rückenschmerzen“ hatte. Aber das tat sie nie, wir waren ihr zu jung, zu unerfahren, sind es vielleicht immer noch, wer weiß.
Markus ist Urgroßvater geworden, ein Mädchen. Meine Familie wohnt jetzt an der Perschillstraße. All das fliegt an dir vorbei. Du kinderloser, reicher Sack, mit der Narbe an der rechten Wange und der viel zu kleinen Nase. Wo wirst du diese Worte lesen? Deutschland, Südfrankreich, Polen? Wohl dort, wo dich dein gestohlenes Imperium hinverlangt, wo es dich hinkommandiert, wie es dies seit Jahrzehnten schon tut. Die Diktatur des Geldes hat dich anscheinend krank gemacht, denn du siehst schrecklich bleich aus im Fernsehen. Ich wünsche dir jedoch keinesfalls den Tod, nein, darüber bin ich hinweg. Ich wünsche dir ein langes Leben und dass du vielleicht irgendwann einmal rastest und über das nachdenkst, was du uns damals angetan hast.
Mit Grüßen,
X
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PS: Wem ein schöner Titel zu diesem Brief einfällt, der ist angehalten diesen im Kommentarbereich zu posten, denn mein Geist ist gerade leider titelfaul. Falls mir ein Vorschlag gefällt, so werde ich dem Text diesen Titel geben : ).
Liebe Grüße,
Max