Zwischen den Jahren

Auf den Dächern lag der Schnee wie frisch angerührter Zuckerguss, unten auf der Straße blieb schon nichts mehr liegen. Leute liefen mit Schirmen und Mützen vorbei und ihr Gerede hallte durch die Gasse. Er wohnte im zweiten Stock und machte das Fenster wieder zu, bevor es ihn zu frieren begann. Weihnachten war vorbei, das Gefühl noch etwas da, ebenso wie die schön dekorierten Bäume in den Häusern und Städten. Er versuchte einen Radiosender zu finden, aber bekam erst einmal nur Rauschen und Wortfetzen, bis er erfolgreich war, dann aber leider nach „Sweet Dreams“ feststellen musste, dass er doch nur einen französischen Sender erwischt hatte. Die Stimme und Redegeschwindigkeit des Moderators missfielen ihm. Er drehte noch einmal am Rädchen. Nur die Franzosen waren deutlich zu verstehen, die Deutschen hatten anscheinend keine Lust heute in seiner Küche die Nachrichten zu verkünden. Er fand dann doch noch einen Sender, wenn auch etwas verrauscht, aber das nahm er in Kauf. Frühstück oder Mittagessen? Zwanzig vor Eins, Schneematsch auf den Dächern und in seinen Gedanken. Neben ihm stand die Flasche Weißwein von gestern. Er kippte das letzte Viertel weg und machte sich einen Tee. Als dieser fertig war und in seiner Tasse dampfte, sah er draußen zwei Raben auf einer Antenne Gefiederpflege betreiben. Die hatten sicher schon gefrühstückt. Während er sich über die Tasse beugte und einen Schluck schlürfte, hüpften die zwei Vögel von der Antenne auf das steile Dach und tapsten dort herum. Nicht weit von ihnen entfernt stand ein Fenster offen und jemand kam und schüttelte ein Kissen aus und die Raben flogen davon.

„Die Vierschanzentournee ohne Zuschauer ist einfach nicht dasselbe“, beklagte sich jemand im Radio, danach sang Falco seinen Kommissar, während das Fenster drüben geschlossen wurde und bald darauf grauer Rauch aus einem Schornstein quoll. Es war ein Sonntagmittag und er vermied es auf sein Smartphone zu schauen. Morgen würden sie eventuell schon damit beginnen die Weihnachtsbäume zu entfernen. Diese Übergangszeit mochte er nicht und der Gedanke morgen nicht arbeiten zu dürfen, ließ ihn mit gemischten Gefühlen zurück. Als „Here comes the rain again“ von Eurythmics gespielt wurde, wollte er den Sender wechseln, aber bekam wieder nur Rauschen, woraufhin er das Radio dieses Mal ausschaltete. Er kochte sich etwas und als er aß, da war der Schnee schon auf den Dächern geschmolzen. Morgen würde seine Mutter gegen zehn Uhr kurz vorbeikommen und ihm ein großes Paket mit Essen, Hygienesachen und Plätzchen vorbeibringen. Plätzchen, die Quarantäne hatte auch gute Seiten und er freute sich auf die Zimststerne und Vanillekipferl.

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