An ferner Front

„Bssss-rrrr-bssss-rrrr-bssss“, machte es, dann herrschte wieder Stille und die Drohne war fort. Schlimmer als jede Stechmücke, dachte Steffen und drehte sich in seinem Feldbett herum. Jede halbe Stunde flog dieses Teil auf seiner Patrouille durch das Camp an Steffens Zelt vorbei. Der Mond war eine gelbe Sichel und eingebettet in einem sternenbehangenen, wolkenlosen Himmel, was Steffen durch einen Luftschlitz sah und wohl schön gefunden hätte, wenn er nicht völlig übermüdet gewesen wäre und einfach nur einschlafen wollte, was ihm nicht gelang. Es war verflucht kalt geworden in den letzten paar Tagen, so kalt, dass es morgens unter seinen Stiefeln knirschte, wenn er aus dem Zelt trat und zu den Latrinen schlenderte. Kalt und langweilig, anstrengend und langweilig, Wachdienst, warten, warten, warten, Wachdienst, warten, warten, warten, damit konnte man die letzten Monate gut zusammenfassen. Ab und zu eine dumpfe Explosion in der Ferne und dann schwarze Rauchwolken am Horizont, das war mittlerweile Steffens Krieg. Es war ihm lieber so, das Warten und die damit verbundene waren besser als das Sterben in der Zeit, als sie noch fast täglich mit Mörsern, Drohnen und Robotern angegriffen wurden. Jetzt hatte sich der Krieg verlagert und das Chaos und Sterben fand weiter entfernt statt.

Er schloss die Augen und versuchte an etwas Schönes von früher zu denken, nicht nur um endlich einzuschlafen, sondern auch um den Hunger, der wüst in seinen Eingeweiden wühlte, zu verdrängen. Er erinnerte sich daran, wie er und seine Freunde im Sommer als stramme Clique damals auf dem Ascheplatz ihres Dorfes Fußball gespielt hatten. Das laute Klirren, wenn einer von ihnen den Ball neben das Tor geschossen hatte und dieser in den haushohen, stählernen Ballfangzaun krachte. Hinter dem Zaun war ein Parkplatz und dahinter lag das Tennisclubheim mit seinen drei nebeneinanderliegenden Spielfeldern. Einmal hatte Roman Winkel es geschafft den Ball dermaßen über das Tor zu jagen, dass er ihn vom zweiten Tennisfeld hatte holen müssen, während Steffen und die anderen sich vor Lachen auf dem Boden wälzten. Sie spielten, bis der ganze Bereich vor dem Tor mit ihren Schuhabdrücken übersät war und man die mit Kreide aufgetragenen Linien kaum noch sehen konnte. Wenn die Mädchen vom Tennisclub nach dem Spielen auf ihre Fahrräder stiegen und davonfuhren, pfiffen Steffen und die anderen ihnen begeistert nach.

Jetzt lag er hier und ihm war immer noch kalt und er war immer noch hungrig und konnte immer noch nicht schlafen. Irgendwie weigerte sich sein Körper, ihm in dieser Nacht Ruhe zu gewähren. Aufstehen wollte er nicht, denn manche seiner Kameraden hatten einen sehr leichten Schlaf und er wollte sie nicht aufwecken. Je länger sie an der Front waren, desto schreckhafter wurden einige, andere wiederum schliefen fest und gleichgültig und die Tauben sowieso. Die musste man im Alarmfall wachrütteln, sonst rührten sie sich nicht, zumindest solange nicht, bis die ersten Granaten einschlugen und das Camp erschütterten. Der Hunger war unnachgiebig und wühlte weiter und weiter, aber das kannte er schon. Fett macht der Krieg nur die Waffenverkäufer und Lobbyisten.
„Bssss-rrrr-bsss, wiuuuu“, machte es und Steffen horchte auf. Dann explodierte plötzlich alles um ihn herum und der Hunger kümmerte ihn nicht mehr und an Schlaf brauchte er auch nicht mehr zu denken und oben in der Luft über dem Camp, da summte es laut und fleißig, während die Drohnen des Feindes ihre Bomben abwarfen und aus hundert Rohren das Feuer eröffneten.

4 Gedanken zu “An ferner Front

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